Der Duft by Karl Olsberg

Der Duft by Karl Olsberg

Autor:Karl Olsberg
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Herausgeber: Aufbau
veröffentlicht: 2011-05-01T22:00:00+00:00


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25.

Marie starrte entgeistert auf die ausgestreckte Hand des Mannes. Sie war so verwirrt, dass ihr für einen Moment nicht mehr in den Sinn kam als der Gedanke, wie unhöflich es von ihm war, die schwarzen Lederhandschuhe zur Begrüßung nicht auszuziehen.

»Sie wundern sich vielleicht, warum ich Deutsch spreche«, sagte der Mann, der sich als Nariv Ondomar vorgestellt hatte. »Ich habe in Heidelberg studiert. Dort habe ich auch Andreas Borg kennengelernt.«

»Warum … haben Sie uns entführt?«, fragte Marie, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.

Ondomar lächelte. »Es tut mir leid, dass die Umstände mich dazu gezwungen haben. Andreas hat mir erzählt, Sie hätten ein wenig zu genau nachgeforscht, was er in seinem Labor macht. Da mussten wir natürlich eingreifen. Ich kann doch nicht zulassen, dass mein alter Freund ins Gefängnis kommt!«

Marie spürte, wie ihr die Zornesröte ins Gesicht stieg. Doch bevor sie etwas sagen konnte, rief Rafael aufgebracht: »Borg macht Tierversuche an Menschenaffen!«

Ondomar nickte. »Ja, das ist bedauerlich. Aber manchmal muss man für ein größeres Ganzes schmerzhafte Opfer bringen.«

»Größeres Ganzes? Was für ein größeres Ganzes?«

»Gerechtigkeit«, sagte Ondomar. »Gerechtigkeit für die Völker Afrikas und Asiens, die seit Jahrzehnten vom Westen ausgebeutet und von korrupten, verweichlichten Regimes unterdrückt werden.«

»Und deshalb lassen Sie Borg Experimente an bedrohten Tieren machen? Wozu? Ist es irgendein Gift, das er für Sie zusammenmischt, oder ein tödlicher Virus? Ist es das, was Sie mit Gerechtigkeit meinen – unschuldige Menschen umbringen?«

Ondomar fixierte sie mit seinem Blick. Das Lächeln verschwand für einen Moment von seinen Lippen, kehrte aber rasch wieder zurück. »Unschuldig? Sie halten die Menschen im Westen für unschuldig? Weil sie nicht selbst in den amerikanischen Bombern sitzen, die in Afghanistan Männer, Frauen und Kinder töten? Ihre ›unschuldigen Menschen‹ kaufen im Supermarkt Produkte, die nur deswegen billig sind, weil sie von pakistanischen Kindern unter unwürdigen Umständen hergestellt wurden. Sie rauben uns unser Öl und verpesten damit das Klima. Sie leben immer noch von den Reichtümern, die sie Afrika und Indien während der Kolonialzeit gestohlen haben oder die von afrikanischen Sklaven geschaffen wurden. Sie schimpfen über die angebliche Unterdrückung der Frauen im Iran und verschließen die Augen, wenn ›pro-westliche‹ Diktatoren in Afrika ihr eigenes Volk niedermetzeln. Meinen Sie das mit ›unschuldig‹?«

Seine Augen blitzten, und für einen Moment überkam Marie das erschreckende Gefühl, dass er recht haben könnte – dass nicht ihre Entführer, sondern Marie und Rafael auf irgendeine grauenhafte Weise im Unrecht waren.

»Ihr im Westen glaubt, ihr seid uns überlegen, weil ihr die bessere Technologie, die stärkere Wirtschaft habt«, fuhr er fort. »Doch eure Wirtschaft basiert auf dem Handel mit Diebesgut, und euer technischer Fortschritt ist in Wirklichkeit ein Spiel mit dem Feuer, das längst außer Kontrolle geraten ist. In eurer Gier und Überheblichkeit seid ihr drauf und dran, den ganzen Planeten unbewohnbar zu machen! Und da sprechen Sie von Unschuld?«

»Das ist doch Blödsinn!«, sagte Rafael. »Sicher ist während der Kolonialzeit viel Unrecht geschehen, aber das können Sie doch den heutigen Menschen in den westlichen Demokratien nicht anlasten. Jedes Jahr werden Milliarden an Entwicklungshilfe nach Afrika und Asien geschickt, mit dem Ziel, die Wirtschaft hier aufzubauen.



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